35+ JAHRE MIT NITRO SNOWBOARDING

''Ein paar Dinge haben sich verändert͵ aber ich bin immer noch ein Produktmensch.'' – Tommy Delago

TOMMY DELAGO

Was war dein erster Kontakt mit Snowboarding und wann war das?

Das erste Mal habe ich 1978 im Skateboarder Magazine Fotos vom Snowboarden gesehen. Als Teenager in den Bergen͵ der skaten ging und schon immer surfen wollte͵ habe ich sofort erkannt: Das wird mein Weg zum Surfen sein.

Warum und wie hat sich deine Leidenschaft fürs Snowboarden zu der Idee entwickelt͵ deine eigene Marke zu starten? Warst du am Anfang wirklich so sehr ins Snowboarden verliebt͵ dass du wusstest͵ dass du das machen und der Welt beitragen willst?

Ende der 80er bin ich zu 100 % ins Snowboarden eingetaucht: Ich war Sims-Teamfahrer͵ leitete mein eigenes Snowboardcamp und meine Schule und war Autor und Tester für das führende deutsche Snowboard-Magazin. Trotzdem gab es keinen großen Masterplan͵ eine Snowboardmarke zu gründen. Letztendlich passierte es einfach durch die Begegnung mit den richtigen Leuten zur richtigen Zeit.

Ich weiß͵ du hast diese Geschichte schon erzählt͵ aber wie͵ wann und wo wurde Nitro gegründet?

Die erste Nitro-Linie wurde im Herbst 1989 entwickelt͵ aber die endgültige Entscheidung für den Markennamen fiel am 6. Januar 1990 im Vera’s Café in Ballard͵ Seattle.

Was war eine deiner schönsten Erinnerungen aus den Anfangstagen?

Rückblickend gibt es viele. Das erste Mal͵ dass ich jemanden ein Nitro-Board fahren sah͵ das er im Laden gekauft hatte. Es macht mich immer noch stolz und dankbar͵ das zu sehen. Aber es ist auch großartig͵ sich daran zu erinnern͵ wie viel Zeit wir damals mit Fahren und Testen verbringen konnten. Die Produktlinie war viel kleiner und wir brachen mit vielen unserer Originalshapes Neuland. Wir haben Dutzende Shape-Varianten für ein neues Board ausprobiert. Ich erinnere mich͵ dass ich sechs Wochen am Stück mit dem gesamten Team am Mt. Hood verbrachte.

Was war das erste Nitro-Produktions-Snowboard?

Nun͵ da war natürlich die gesamte 1990er-Linie. Aber das allererste Board͵ das ich entworfen habe͵ war ein Swallowtail-Powderboard namens Retro. Jeder war total auf asymmetrische Raceboards͵ schnelle technologische Fortschritte und die ersten Twin Shapes fixiert. Irgendwie hatte ich aber den Drang͵ ein Board zu entwerfen͵ das zurück zu den Surf-Ursprüngen des Snowboardens führte – daher der Name Retro. Wir sind dieser Linie treu geblieben und haben fast jede Saison seitdem ein neues Swallowtail-Board herausgebracht.

Erinnerst du dich͵ wer die ersten Teamfahrer waren?

Mehrfache Weltmeisterin Petra Müssig͵ Amy Howat aus Mt. Baker (WA)͵ Jason Brown͵ Drew Hicken͵ Keith Kimmel͵ Dennis Nazari͵ um nur einige zu nennen.

Was war deine ursprüngliche Rolle bei Nitro Snowboards in den ersten 5 Jahren?

Meine Hauptverantwortung lag im Board- und Bindungs-Engineering und natürlich im Marketing͵ insbesondere in Europa. Ich war damals noch ein repräsentativer Fahrer und habe deshalb auch in den ersten Videos mitgespielt (Go Nitro͵ Hype).

Wer gehörte zur ursprünglichen Crew?

Neben meinem Partner Sepp Ardelt und mir waren das die Grafikdesigner Bill McGown und Mike Dawson sowie US-Verkaufsleiter Ken Kelly und unsere Distributoren in Frankreich und Italien͵ Damien Fenart und Edo Sgarbossa. Die Familie wuchs schnell͵ besonders mit Ridern und Distributoren͵ von denen einige bis heute dabei sind.

Was ist deine Rolle bei Nitro Snowboards heute͵ 30 Jahre später?

Mit dem Wachstum der Linie und der Firma haben sich ein paar Dinge verschoben͵ aber ich bin immer noch ein Produktmensch͵ mit Fokus auf Boards und Boots. Ich versuche͵ den Überblick über die gesamte Linie – insbesondere Hardgoods – zu behalten͵ während ich gleichzeitig jüngeren Kollegen Verantwortung für bestimmte Kategorien überlasse. Nitro ist eine der wenigen verbliebenen großen Marken͵ die von Ridern/Eigentümern geführt wird͵ deshalb verbringe ich auch viel Zeit auf dem Schnee und in Shops͵ höre zu und verbreite unseren Vibe. Ich sehe mich auch dafür verantwortlich͵ die Markenidentität ihren Ursprüngen treu zu halten und Snowboarding überall zu unterstützen͵ wo es geht.

Welche Hürden gab es in der Anfangszeit beim Entwickeln von Snowboard-Produkten͵ die du nicht vorhergesehen hattest?

Eine der größten Herausforderungen͵ die mir anfangs nicht bewusst war – und es bis heute ist – war͵ eine Produktlinie zu bauen͵ die für alle verschiedenen Märkte funktioniert. Fahrstile͵ Grafikgeschmäcker und Budgets unterscheiden sich zwischen Ländern͵ und wir versuchen͵ auf unsere Märkte zu hören und sie ernst zu nehmen͵ selbst wenn sie klein sind.

Lieferanten- oder Vertriebswechsel passieren oft ungeplant und können das System ganz schön durcheinanderbringen. Wir sind stolz auf unsere Qualität – sowohl in den Produkten als auch im Service – und diese Veränderungen haben uns Herausforderungen gebracht͵ mit denen wir ursprünglich nicht gerechnet hatten.

Gab es Schlüsselmomente oder Werte͵ die deiner Meinung nach Nitro durch die ersten 20 Jahre getragen haben?

Vor allem war es dieser spezielle Familiengeist͵ der Nitro von Anfang an getragen hat. Es gibt sehr wenige strenge Business-Strukturen͵ dafür viele geteilte Aufgaben und Verantwortungen. Wir versuchen͵ alle einzubeziehen͵ damit jeder Teil desselben Teams ist – ob R&D͵ Design͵ Vertrieb oder Marketing͵ bis hin zu den Am- und Pro-Ridern.

Du hast Trends im Produktdesign und in der Mode kommen͵ gehen und wiederkehren sehen … was waren einige deiner liebsten Snowboard-Trends der letzten 30 Jahre?

Ich habe die Aufbruchsstimmung Anfang der 90er total genossen. Alles war möglich͵ technische Fortschritte gab es überall und alle waren neugierig͵ Neues auszuprobieren. Auf der anderen Seite hatte ich meinen schlimmsten Snowboard-Tag auf einem 151er Twin mit baseless Bindungen͵ mittig montiert͵ in einem Meter unverspurtem Powder – das war für mich wohl ein persönlicher ''Downer'' unter den Trends. Die Wieder-Einführung von Splitboarding 10 Jahre nachdem wir dieses Board erstmals verkauft hatten͵ war – und ist immer noch – eine großartige Bewegung.

Und schließlich begeistert mich die neue Offenheit für neue Shapes͵ Ideen und Styles͵ die wir gerade in der Community erleben.

Welche Snowboard-Technologien machen dich am stolzesten͵ sie in die Snowboard-Welt eingeführt zu haben?

Ich denke͵ es gibt viele͵ aber hier sind meine Favoriten – besonders͵ weil sie immer noch in unserer Linie oder sogar von anderen in der Industrie verwendet werden.

3-Piece Binding
Die Möglichkeit͵ deinen Boot durch die richtige Anpassung der Bindungsgröße perfekt auf dem Board zu zentrieren͵ war ein Meilenstein͵ den wir ins Snowboarden gebracht haben – und wir haben uns entschieden͵ kein Patent darauf anzumelden.

TLS
Schnell und extrem effektiv – das TLS-Schnürsystem ist unser Beitrag Nr. 1 für besser sitzende und bequemere Snowboard-Boots.

Re-Lace System
Das lästige Lace-Locker-Problem endlich zu überwinden͵ war längst überfällig – und das Nachziehen des Liners ''on-the-fly'' ist ein Feature͵ das du jeden Tag brauchst.

Railkiller Edge
200 % der Stärke einer normalen (Ski-)Stahlkante – die Railkiller Edge ist ein Muss für jedes Street/Park-Board.

Koroyd® Core
Auch wenn die ursprüngliche Technologie nicht unsere Erfindung ist͵ waren wir verantwortlich dafür͵ Wege zu entwickeln͵ dieses leichte und dennoch stark dämpfende Material in unsere Kerne zu integrieren – heute folgen uns andere Snowboard- und Ski-Marken.

Mini Disk
Minimaler Einfluss der Bindungsbase auf den Boardflex͵ kombiniert mit Click-Fit-Winkelverstellung. Besseres Board-Feeling und einfacheres Montieren.

Du hast im Nitro-Film ''28 Winters'' gesagt: ''Es gab eine Zeit͵ da konnte man im Snowboarding nicht cool oder uncool sein'' – wie hast du die Entwicklung des Snowboardens über die Jahre erlebt?

Snowboarding hat in den letzten Jahrzehnten mehrere Entwicklungsstufen durchlaufen. Nach den Anfängen in den 70ern kam ein Jahrzehnt der Industrialisierung͵ in dem wir Skibau-Technologie und -Materialien adaptierten. Außerdem erlebten wir die Entwicklung von Contests und professionellem Snowboarding. In dieser Zeit war Style zweitrangig – egal͵ welche Marke du gefahren bist oder welche Klamotten du getragen hast͵ Hauptsache͵ du bist mit anderen gefahren.

Das änderte sich in den 90ern͵ als Snowboarding ''erwachsen'' wurde. Profisnowboarding wurde viel ernster und Marken fingen an͵ massiv Geld in ihr Image zu stecken. Der ganze Sport wurde stark Image-getrieben – plötzlich warst du ''in'' oder ''out''͵ je nachdem͵ welche Brand du gefahren oder getragen hast. Für viele wurde Snowboarding mehr Hype und Fashion. Es überhitzte͵ und um 2010 brach der Markt ein.

Und wie hast du die Entwicklung der Marke Nitro erlebt – welche Werte waren dir wichtig?

Mit Nitro waren wir seit 1990 Teil dieser Entwicklungen – mit der Ausnahme͵ dass wir als privates Unternehmen nie die absurden Budgets anderer hatten͵ um beim Hype der späten 90er und frühen 2000er mitzumachen. Wir haben unseren familiären Stil beibehalten und nur das Geld investiert͵ das wir im Vorjahr verdient hatten. So haben uns die Höhen und Tiefen des Marktes weniger hart getroffen. Nach 2012 haben wir erkannt͵ dass wir unseren Teil beitragen müssen͵ um Snowboarding wieder auf Kurs zu bringen. Wir haben bewusst einen bodenständigeren Ansatz gewählt͵ uns neu auf die Freude am Fahren mit Freunden und die Offenheit der frühen Tage fokussiert. Das haben wir durch unsere Videos͵ das Team͵ unser Marketing und natürlich durch die Produktlinie getan. Linien wie die Quiver-Serie oder Rider wie Yung Doli hätten vor 10–15 Jahren kaum Resonanz gehabt͵ sind heute aber ein etablierter Teil vieler Facetten des Snowboardens.

Ein Business über 30 Jahre am Laufen zu halten͵ ist eine Leistung – erst recht in einem Nischenmarkt wie Snowboarding. Was war deiner Meinung nach entscheidend für den Erfolg von Nitro?

Ich denke͵ es ist eine Mischung aus soliden Produkten͵ No-Bullshit-Marketing und viel gesundem Menschenverstand im Business. Wir lieben͵ was wir tun͵ und vermeiden Produkte͵ die wir selbst nicht kaufen oder fahren würden.

Wenn du eine Sache der letzten 30 Jahre bei Nitro ändern könntest – was wäre es?

Schwer – die meisten Produkte sahen zum Zeitpunkt der Entwicklung nach einer guten Idee aus͵ auch wenn sie floppten͵ also keine Reue. Vielleicht hätten wir Splitboards um 2000 nicht einstellen sollen͵ nur um sie 10 Jahre später wiederzubringen.

Klimawandel und Nachhaltigkeit sind entscheidende Faktoren für alle Wintersportarten – wie sollte die Snowboard-Industrie deiner Meinung nach in Zukunft damit umgehen?

Vor allem: Bitte kein Greenwashing. Ich sehe zu viele Versuche von Brands͵ sich mit ein oder zwei Öko-Features zu schmücken͵ nur für Marketing. Klimawandel ist real und betrifft uns direkt. Ich glaube͵ es ist wichtig͵ das große Ganze zu sehen͵ auch wenn es sich schlechter vermarkten lässt. Beispiel: Manche Tinten oder Kleber wirken auf den ersten Blick super umweltfreundlich͵ brauchen aber extrem viel Energie zum Härten oder Trocknen – ihr Fußabdruck ist damit größer als bei manchen traditionellen Methoden. Wir müssen diese Technologien weiterentwickeln͵ bis der gesamte Prozess ökologischer ist. Wir brauchen einen gebildeteren Blick auf unser gesamtes Wirtschaften – echte Entwicklung͵ weniger Marketing-Buzzwords.

Wie ist deine Motivation und dein Ausblick für die nächsten 30 Jahre Snowboarding und Nitro? Wo͵ was und wie werden die Leute 2050 fahren?

Natürlich sind die Veränderungen im Klima die größte Sorge und werden den Wintersport massiv beeinflussen. Ich glaube͵ Snowboarding ist gut vorbereitet und wird bestehen͵ wenn die Branche weniger ''grand'' und wieder mehr grassroots bleibt. Wir brauchen keine Mega-Gondeln͵ riesigen Resorts und Après-Bars. Ein kleiner lokaler Berg und ein paar Freunde reichen völlig. Kosten für Tickets͵ Unterkunft͵ Reisen und Equipment werden weiter steigen – Saison- und Kinderverleih werden wichtiger. Splitboarding wird wahrscheinlich nicht explodieren͵ aber weiter wachsen. Wenn wir den aktuellen offenen͵ spaßorientierten Spirit beibehalten͵ bleiben Boards vielfältig und jeder findet seinen passenden Shape – egal in welchem Fahrstil.

Wie kann der Durchschnitts-Snowboarder die Zukunft der Community unterstützen? Was würdest du ihm raten?

Supporte kleine lokale Resorts und Händler͵ auch wenn sie nicht das komplette Sortiment wie die Großen haben. Achte darauf͵ dass (deine) Kids die Chance haben͵ rauszukommen und zu shredden. Aber vor allem: Geh so oft wie möglich selbst fahren͵ teile die Freude mit deinen Freunden und grüße andere Rider mit einem Lächeln!